Klimaschutz lokal und vor Ort

Stadtrat Jochen Biedermann im Interview


Im März 2023 wurde mit der Umsetzung des Modellprojekts "Klimaresiliente Hasenheide begonnen. Was hat es damit auf sich?
Wir reagieren damit darauf, dass es der Hasenheide schlecht geht. Innerhalb von drei Jahren haben wir einen von zehn Bäumen verloren. Das darf so nicht weitergehen, denn wir brauchen die Hasenheide: zur Naherholung für die angrenzenden, dicht bebauten Kieze, für die Kaltluft in Hitzesommern und als Rückzugsort für die Stadtnatur. Mit dem Modellprojekt wollen wir Neuköllns Stadtrat Jochen Biedermann im Interview größten Park mit all seinen Funktionen für zukünftige Generationen bewahren. Wir pflanzen neue, klimarobuste Bäume und Pflanzen, lockern den verdichteten Boden wo heute kaum mehr etwas versickert und sorgen dafür, dass das Regenwasser gerade nach Starkregen in der Hasenheide bleibt und nicht in die Kanalisation abfließt. Wir probieren verschiedene Maßnahmen aus und beobachten, wie z.B. verschiedene Baumarten oder Sträucher den sich verändernden Bedingungen gewachsen sind.

Erster Spatenstich für die klimaresiliente Hasenheide: Stadtrat Jochen Biedermann (Grüne) und Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) pflanzen den ersten Baum

Welche Maßnahmen sind seitdem erfolgt und was steht als nächstes an?
Der erste Schritt war es, die vorhandene Vegetation zu untersuchen sowie die Nutzung des Parks zu erfassen. Anfang 2023 wurden dann verschiedene Baumarten, Sträucher und Stauden gepflanzt. Bei den Bäumen haben wir mit unterschiedlichen Grubenformen experimentiert. Unter den heutigen Bedingungen einen Baum zu pflanzen ist viel mehr als nur ein Loch zu graben. Die Kunst ist es, das Wasser zu den Wurzeln zu bringen und gleichzeitig die Bäume anzuregen, tiefer zu wurzeln – damit sie auch längere Trockenperioden aushalten. Wir haben zudem Gräser und Kräuter ausgesät und bodenlockernde Pflanzen ausgebracht. Aktuell pflanzen wir etwa 280 neue Bäume mit den Erkenntnissen aus dem ersten Bauabschnitt. Das ist ein Kraftakt, aber der ist nötig, wenn auch unsere Kinder und Enkel in der Hasenheide noch Schatten finden sollen.

Neben der Hasenheide: Was passiert zurzeit in Neukölln in Sachen Klimaschutz?
Wir verbessern im ganzen Bezirk die Bedingungen für die Stadtnatur. Überall wo wir können, vergrößern wir die Baumscheiben – also die unversiegelte Fläche rund um einen Straßenbaum. In der Weisestraße gehen wir noch einen Schritt weiter und entsiegeln nicht nur die Fläche auf dem Gehweg, sondern ein Stück der Straße. Der Boden wird ausgetauscht und der Asphalt wird durch eine wasserdurchlässige Oberfläche ersetzt, der Autostellplatz durch 4-6 Stellplätze für Räder. Im letzten Winter haben wir auf unseren Friedhöfen neue Bäume und Sträucher gepflanzt. Denn in den letzten Jahren sind viele Pflanzen verloren gegangen — die Klimakrise macht sich auch hier bemerkbar. Ein weiteres Beispiel: In einem Modellversuch mähen wir die Mittelstreifen bestimmter Straßen nur noch einmal pro Jahr. Aus Mittelstreifen werden so Blühstreifen – davon profitieren auch Insekten und Vögel.

Wie werden die Klimaschutzmaßnahmen vermittelt und wie werden die Bürger*innen mit einbezogen?
Im letzten Jahr gab es viele Führungen und Workshops in der Hasenheide für Familien, Schüler*innen und Interessierte. Die sind sehr gut angenommen worden und es gab ein großes Interesse für das, was wir dort machen, aber auch allgemein für die Hasenheide und die Stadtnatur. Und das ist kolossal wichtig: denn Natur ist besonders in viel besuchten Parks auf unsere Rücksicht angewiesen. Umweltbildung machen wir aber nicht nur in der Hasenheide, sondern zum Beispiel auch am Naturlehrpfad am Heidekampgraben. Und wir haben die Prinzessinnengärten beauftragt, eine Grünberatung anzubieten, die Grundstückseigentümer*innen bei Fragen zu Entsieglungen und Begrünung zur Seite steht. Das läuft gerade an und ich verspreche mir viel davon. Denn wir müssen an möglichst vielen Stellen parallel das Richtige und Notwendige tun, nicht nur auf öffentlichen, sondern auch auf privaten Flächen.

Welche Projekte stehen in Zukunft an?
Derzeit wird die Oderstraße zur Fahrradstraße umgebaut. Im Zuge dieser Umgestaltung entsiegeln wir den alten und maroden Radstreifen auf der Westseite der Straße und pflanzen dort neue Bäume. Außerdem haben wir in den letzten Monaten Pläne für den Umbau der Weichsel- und der Elbestraße entwickelt. Entsiegelung und bessere Bedingungen für unsere Straßenbäume spielen auch dabei eine große Rolle. An Ideen, Idealismus und Umsetzungswillen mangelt es uns nicht, wohl aber an Ressourcen. Der Grünbereich ist im kommenden Doppelhaushalt völlig unterfinanziert. Wer aber mehr Stadtnatur, hochwertige Pflege und ökologisches Handwerk will, muss dafür auch die notwendigen Ressourcen bereitstellen. Für Neukölln fehlen dafür pro Jahr zwei Millionen Euro. Es bleibt also viel zu tun.


Jochen Biedermann ist seit 2016 Stadtrat für Neukölln. Seit 2021 ist er im Bezirksamt für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr zuständig.
Dieser Artikel ist Teil des Neuköllner Stachels Nr. 196, Ausgabe I/2024