Veranstaltungsbericht: Schluss mit "We take it all"!

"Die Szenarien sind unglaublich. Viele werden ja "1984" von Orwell gelesen haben. Das ist ein Klacks gegen das, was die NSA ermöglichen kann.“ Hans-Christian Ströbele besuchte unsere Bezirksgruppe am 25. August 2015 und diskutierte mit uns über die NSA-Affäre und ihre Aufarbeitung im Untersuchtungsausschuss.

In seinem Bericht machte Ströbele das erschreckende Ausmaß deutlich, in dem die NSA in Europa und Deutschland Datenverkehre abgehört und überwacht hat. Das Kanzleramt hatte dem Untersuchungsausschuss vermeldet, dass rund 40.000 Selektoren beim BND aufgetaucht seien, die die NSA in die Datenbanken des BND einspeisen wollte.

"Selektoren sind so etwas wie Suchbegriffe. Das können IP-Adressen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen sein, genauso wie Geokoordinaten, MAC-Adressen, URLs. Aber auch einzelne Suchbegriffe können ein Selektor sein, also Namen oder Kürzel von Firmen und Behörden, oder Ausdrücke wie "Eurocopter" ("<link http: www.zeit.de digital datenschutz bundesnachrichtendienst-bnd-nsa-selektoren-eikonal _blank external-link-new-window external link in new>Was sind eigentlich Selektoren?")

Inzwischen weiß man: Diese Zahl ist stark untertrieben. Wahrscheinlich gibt es Millionen von Selektoren, die von der NSA in europäische Datennetze eingespeist wurden. Die Philosophie der NSA is klar: We take it all!

Ein Problem unter vielen bei dem Versuch der Aufklärung im NSA-Untersuchungsaussschuss: Der Zugang zur Selektorenliste wird den Ausschussmitgliedern bisher verweigert. Warum die Liste so wichtig ist: Man wüsste endlich, an welchen Informationen die NSA interessiert ist und über welchen Zeitraum hinweg. Welche deutschen Unternehmen oder anderen Akteure sind betroffen usw.? Und, noch wichtiger: Ströbele erhofft sich von der Liste endlich Gewissheit, ob das Ziel der Überwachung "nur" die Bekämpfung von Terrorismus sei oder ob es auch um Wirtschaftsspionage und/oder Politische Spionage geht. Ströbele ließ freilich keinen Zweifel daran, dass wohl eher Letzteres der Fall sei. Schließlich "muss man nicht das Handy der Kanzlerin abhören, um Terroranschläge zu verhindern".

Ströbele gab uns außerdem einen guten Einblick in die Verstrickung deutscher Geheimdienste in den Überwachungsskandal. MAD und BND haben lange behauptet, sie wissen von nichts. Inzwischen wissen wir: der BND hatte natürlich Kenntnisse von der Technik und, mehr noch, hat die NSA tatkräftig unterstützt. Der Deal: Der BND bekommt von der NSA die Technik und liefert im Gegenzug Daten.

Bis in welche Ebene, also etwa auch in Regierungskreisen, Personen Bescheid wussten, versucht der Untersuchungsausschuss derzeit herauszufinden: "Für jeden Angriff gibt es auch eine Verteidigung. Wir müssen nur den Angriff kennen, um die Verteidigung zu organisieren."

In der sich anschließenden Fragerunde und Diskussion wurde unter anderem gefragt, wie solche Skandale in Zukunft verhindert werden könnten. Nach Ströbeles dafürhalten müssen vor allem die Gesetzeslage angepasst und die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten gestärkt werden. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG), das die Geheimdienste (MAD, BND und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)) kontrolliert, müsse mit Fachleuten ausgestattet werden, die den Mitgliedern des Gremiums zuarbeiten. Die Parlamentarier*innen müssen in die Lage versetzt werden, die Arbeit der Dienste kontrollieren zu können.

Als eins der kommenden Themen für den Untersuchungsausschuss nannte Ströbele die "Die geheimen Kriege". Dabei ginge es um die Frage, inwieweit Drohneneinsätze der CIA und des US-Militärs überall in der Welt über Deutschland gesteuert würden. Machen wir uns mitschuldig an tödlichen Drohneneinsätzen in anderen Teilen der Welt?