Bericht aus der BVV vom 25. April 2007

Dominiert wurde die Sitzung der BVV von einem Thema: Straßenausbau in Alt-Rudow.

Dabei ging es einmal mehr hauptsächlich um die Frage, ob die Anwohnerinnen und Anwohner an den Kosten der Baumaßnahme nach dem Straßenausbaubeitragsgesetz zu beteiligen sind und ob das Gesetz überhaupt Anwendung findet.

Stadtrat Thomas Blesing (SPD) bekräftigte in der Beantwortung einer Großen Anfrage der FDP noch einmal die Auffassung des Bezirksamtes: Das Gesetz findet Anwendung und die Anwohner_innen sind zu beteiligen! Dies blieb – natürlich – von den Vertreter_innen der CDU, kräftig unterstützt von FDP und Grauen, nicht ohne Widerspruch. Hatte sich doch die ehemalige CDU-Baustadträtin, Stefanie Vogelsang, in einer Info-Veranstaltung mit Betroffenen sehr weit „aus dem Fenster gelehnt“ mit der Bemerkung, dass die Baukosten von etwa 1,2 Millionen Euro vom Bezirkshaushalt getragen würden und solange sie Stadträtin sei die Betroffenen keine Beiträge zu leisten hätten. Das war vor der letzten Wahl und so machten verschiedene Redebeiträge ihr und der CDU den Vorwurf der Klientel-Politik.

Der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Andreas Lück, forderte, das Bezirksamt solle zu seinem Wort stehen (das die ehemalige Baustadträtin gegeben hatte), im übrigen sei die ganze Baumaßnahme kein beitragspflichtiger Neubau, sondern müsse als Sanierung in Form einer Instandhaltung angesehen werden. Das Gesetz zur Einforderung von Beiträgen für Straßen ausbauten nannte er „Teil einer sozialistischen Umverteilungsstrategie“.

Falko Liecke, Chef der CDU-Fraktion, prügelte gleichfalls auf das Gesetz ein: Es sei ein „Bürger-Abzocke-Gesetz“. Außerdem sei die geplante Baumaßnahme nur die Fortsetzung einer schon Ende der 80ger Jahre begonnen Erneuerung der Straße Alt-Rudow, und nur die deutsche Einheit habe mit ihren Kosten der Fortsetzung der Maßnahme „einen Strich durch die Rechnung“ gemacht. Liecke beschuldigte die Parteien der Zählgemeinschaft, die Bürger_innen im Süden Neuköllns mit Straßenausbaubeiträgen „abzuzocken“, während in Nord-Neukölln durch abenteuerliche Großprojekte wie der Umbau von Karl-Marx-Straße und Böhmischem Dorf in Fußgängerzonen große Finanzmittel verschwendet würden. Besonders die SPD habe sich entlarvt, so Liecke, und nur die CDU setze sich für Menschen ein und stehe zu ihrem Wort.

Das mochte Bernd Szczepanski, grüner Bezirksverordneter, so nicht stehen lassen. Die Klientelpolitik der CDU sei zu durchsichtig und Vogelsang hätte ihr Versprechen, dass keine Beiträge erhoben würden, als Neuköllner Baustadträtin gemacht und nicht als CDU! Und an Liecke gewandt: „Herr Liecke, merken Sie sich: Dieses Land wird nicht von der CDU regiert!“ Er bekräftigte die Meinung des Baustadtrates Blesing, wonach der Neubau der Straße Alt-Rudow notwendig sei, die Maßnahme keine Luxus-Sanierung darstelle, wie die FDP-Vertreter meinten, und an die CDU gewandt: Wenn diese so wortreich betone, zu ihrem Wort zu stehen, dann solle sie doch die Beiträge für die Bürger zahlen!

Jürgen Koglin, Vorsitzender der SPD-Fraktion, warf der CDU vor, durch die Aussage der ehemaligen Baustadträtin und des Rudower Abgeordneten Sascha Steuer, man würde das Straßenausbaubeitragsgesetz nicht anwenden, offen zum Rechtsbruch aufzufordern. Baustadtrat Blesing versuchte die Wogen zu glätten, indem er aus einem Brief der Senatsbaudirektorin zitierte: Es sei nicht in das Belieben der Behörde gestellt, das Gesetz anzuwenden oder nicht, sonder sie ist dazu verpflichtet. „Die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ist Untreue.“

Jedem in der BVV war klar, dass dies nicht das Ende der Diskussion war, denn das letzte (oder vorletzte?) Wort hat die BVV, wenn sie die Baumaßnahme in Alt-Rudow als Neubau beschließt oder nicht. Also: Fortsetzung folgt.

 

Mit Mündlichen Anfragen können Bezirksverordnete vom Bezirksamt Stellungnahmen zu aktuellen Problemen einfordern. Einige Beispiele:

Die CDU-Verordnete Ute Lanske wollte wissen: "Wie beurteilt das Bezirksamt die Entscheidung des Abgeordnetenhauses zum Erhalt der Hörbehindertenberatungsstelle?" Die derzeitige Gesundheitsstadträtin Vogelsang zeigte sich erleichtert über die Entscheidung und dankte besonders der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion und Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, Angela Knuth, für engagierte Mitwirkung. Es wir künftig zwei Standorte für die Hörberatung geben: Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, es sei denn, die Gesundheitssenatorin entscheidet etwas anders. Vogelsang sieht die Neuköllner Beratungsstelle personell gut aufgestellt und plädiert deshalb dafür, dass Neukölln hauptverantwortlich in der Hörberatung bleibt.

Nach der Beurteilung des Bezirksamtes zu „konfliktfreien Ampelschaltungen“ (auch rund-um-Grün genannt) erkundigte sich der grüne Verkehrsexperte Bernd Szczepanski. Der zuständige Stadtrat Blesing mochte die in der Fragestellung erwartete positive Bewertung nicht abgeben. Die Verkehrslenkung Berlin (VLB) sieht den Modellversuch an der Friedrichstraße Ecke Kochstraße eher negativ, während die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das „rund-um-Grün“ eher als ein Modell für eine unfallfreie Regelung an Kreuzungen sieht. Der Bezirk Neukölln, so Blesing, habe derzeit keine Pläne für eine solche Ampelschaltung. Schade eigentlich.

Rother von Kieseritzky von der FDP wollte wissen, wann und wo die Bäume am Columbiadamm gepflanzt werden, als Ersatz für die im Zuge des Neubaus der Straße gefällten Baume. Antwort von Stadtrat Blesing: Der Auftrag zur Pflanzung von 77 Straßenbäumen, sowie zu Erhaltungsmaßnahmen von 13 Bäumen und einer Neuanlage von 3.500 Quadratmetern extensiver Rasenflächen am Straßenrand ist erteilt. Kosten: 230.000 Euro.

Der SPD-Bezirksverordnete Jörg Stempel wollte vom Bezirksamt wissen, was es unternimmt, um das Anton-Schmaus-Haus der Jugendorganisation „Die Falken“ in Britz-Süd vor rechtsextremistischen Übergriffen und Schmierereien zu schützen. Die grüne Stadträtin Gabriele Vonnekold wies in ihrer Antwort darauf hin, dass das Bezirksamt nicht den Schutz solcher Einrichtungen gewährleisten kann. „Die Zuständigkeit liegt hier bei dem zuständigen Abschnitt der Polizei, der auch ein verstärktes Augenmerk auf diese Einrichtung richtet.“ Vonnekold führte aus, das Bezirksamt beschränke sich in aktuellen Fällen von Übergriffen darauf, bekannt gewordene Vorfälle an die Polizei weiter zu geben. „Aber mit dem Bewusstsein um die bestehenden Probleme und um die Prävention zu stärken hat sich das Jugendamt um eine Finanzierung aus dem Bundesprogramm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ beworben.“ Ziel sei die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Reccourcen und die Vernetzung gegen rechtextreme Gewalt.

In ihrer Anfrage zeigte sich die CDU-Verordnete Christina Schwarzer besorgt über den Einfluss von Scientology in Neukölln, besonders bei der Arbeit der schulischen Nachhilfe. Schulstadtrat Schimmang: Senat und Bezirksamt Neukölln teilen die Sorge der Fragestellerin auf den Bereich der Berliner Schulen, auch im Hinblick auf schulische Nachhilfe. Deshalb sei bereits im März ein Schreiben mit Flyer an die Schulen geschickt, um speziell für die Sektenproblematik zu sensibilisieren. Zu Zeit gebe es keine Einflussnahme der Scientologen an Berliner Schulen.

 

In Behandlung einer Großen Anfrage der CDU „Sprengung im rechtsfreien Raum“ erläuterte Umweltstadtrat Michael Büge (CDU) nochmals die derzeitige Situation beim Abriss des „alten“ Heizkraftwerks Rudow und verwies auf die Rechtslage, nachdem Sprengungen jedweder Art „nur“ anzuzeigen sind. Ein neuer Termin für eine Sprengung des alten Maschinenhauses und anderer Gebäudeteile gebe es nicht. Der Spreng-Termin am 25. April war wegen einen Einstweiligen Anordnung auf Antrag eines Anwohners nochmals verschoben worden. Der Fragesteller, Fraktionschef Falko Liecke, nannte den ganzen Vorgang schlicht einen Schildbürgerstreich, den Umgang mit den betroffenen Anwohner_innen sorglos und dilettantisch. Und weiter: „Jeder Schuppen braucht eine Genehmigung, und hier wird genehmigungslos rumgesprengt!“ Die Bezirksverordneten sahen das ebenso.

Unter der Überschrift "Ignoranz von Toleranz?" wollte die CDU in einer weiteren Großen Anfrage vom Bezirksamt wissen, wie es die ablehnende Stellungnahme des Jugendamtes gegenüber Angeboten der Lesben- und Schwulenberatung Berlin-Brandenburg (LSVD) in den Jahren 2005 und 2006 im Rollbergviertel ein Projekt zu den Respect Gaymes umzusetzen, begründet. In der beanstandeten Stellungnahme wurde u.a. Homosexualität als „irrelevant für den Rollbergkiez“ bezeichnet. Die Behauptung, im Rollbergkiez gäbe es keine homosexuellen Jugendlichen, würde als Tabuisierung verstanden. Der Fragesteller Christian Clemens: Den Jugendamtsmitarbeitern fehle wohl die Sensibilität, mit diesem Thema unverkrampft umzugehen. Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold wollte die Kritik nur wegen einiger „verunglückter“ Formulierungen gelten lassen. So sei die Formulierung „Homosexualität spielt im Leben des Rollbergkiez keine Rolle“ höchst unglücklich und musste Missverständnisse auslösen. Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass im Rollbergviertel genauso viele Homosexuelle leben, wie in jedem anderen Wohngebiet. Abschließend konnte sich der Fragesteller die Bemerkung nicht verkneifen: „Frau Vonnekold, reden Sie mit Ihren Mitarbeitern, sie haben es nötig.“

Dass Radfahren in Neukölln bequemer und gefahrloser wird, dafür setzen sich die Neuköllner Bündnisgrünen seit jeher ein. Dem Tenor folgte auch die Große Anfrage der Grünen "Radstreifen in Neukölln". Fragesteller Bernd Szczepanski fragte nach der Bewertung des Bezirksamtes über Sicherheit von Radstreifen gegenüber herkömmlichen Radwegen und warum es in Neukölln, im Gegensatz zu anderen Bezirken, erst einen einzigen Radstreifen (in der Werbellinstraße) gibt. Stadtrat Blesing wollte sich nicht pauschal zu der Frage 'Radweg oder Radstreifen' äußern. Eine Empfehlung für Radverkehrsanlagen müsse Umfang, Stärke und Geschwindigkeit des übrigen Verkehrs berücksichtigen, ebenso die Umfeldnutzung, z.B. einer Geschäftsstraße. Blesing  langweilte die Zuhörer leider mit  verordnungstechnischen Einzelheiten über Art und Umfang von Straßen-, Radweg- und Radstreifen-Breiten und vermittelte so den Eindruck der Unwilligkeit, sich andere Möglichkeiten als „normale“ Radwege vorzustellen. Aber: „Das Bezirksamt misst dem Fahrradverkehr in Neukölln große Bedeutung zu.“ Na, wenigstens etwas.

 

Mit einer Reihe von Anträgen der verschiedenen Fraktionen werden sich die Ausschüsse der BVV in Zukunft beschäftigen müssen: Boule-Bahn im Carl-Weder-Park, Gütesiegel für Neuköllns Kitas, Umsetzung der Energieeinsparverordnung, Fußgängerüberwege und Zebrastreifen, um nur einige zu nennen.

Mit einem ganz besonderen Antrag ging die BVV zu Ende: Der fraktionslose Verordnete Jan Sturm beantragte „das Amt des Migrationsbeauftragten umzubenennen in Amt für Ausländerrückführung“. Der Fraktionschef der SPD, Jürgen Koglin, fand die richtigen Worte auf diese ungeheuerliche Provokation der Rechten: „Uns liegt hier ein niederträchtiger Antrag vor, wie wir ihn in diesem Hause noch nicht gesehen haben. Seine entsetzliche Sprachdiktion stammt aus einer Zeit, die wir nun mehr als 60 Jahre hinter uns gelassen haben, die den infamen Geist der ewig Gestrigen widerspiegelt und die eine schändliche Menschenverachtung ans Tageslicht bringt. ... Wir werden uns ... nicht von der beabsichtigten erbärmlichen Provokation zu einer ... überflüssigen Debatte hinreißen lassen.“ Der Antrag – die Antragsteller hatten nicht mal den Mumm, ihn zu begründen – wurde von allen übrigen Bezirksverordneten stehend abgelehnt.

Neuköllner Wähler_innen, was habt Ihr uns angetan...

Jürgen Biele