Alles auf Reset – Sonderparteitag in Hannover

Stefan Lange ist Vorstandsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen Neukölln und berichtet hier über den Parteitag in Hannover am 26. und 27. Januar 2018. Sein Fazit: Der neue Bundesvorstand hat viel Potential – wenn er die Breite der Partei mitnimmt.

Sonderparteitage haben eine eigene Atmosphäre. Sie sind etwas besonderes, das sagt schon der Name. Es ist auch dieses Mal nicht anders. Am Ende ging es aber nur um eine Sache: die Neuwahl das Vorstands. Es gab nur einen eher langweiligen Leitantrag, kein zentrales Thema, nur ein paar Hinweise zur Verortung der Partei und den zukünftigen Aufgaben, ohne den neuen Vorstand zu enge Fesseln zu geben. Die Musik spielte bei den Wahlen.

Doch bevor überhaupt gewählt werden konnte, ging es an die Satzung. Eine Regelungslücke galt es zu schließen. Aufgefallen war die Regelungslücke, nachdem Robert Habeck seit Monaten für den Bundesvorsitz im Gespräch war. Sein Problem: Er ist stellvertetender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Die Satzung sieht aber eine strikte Trennung von Bundesvorstand und jeglichen Kabinettsmitgliedern vor. Eine Lösung musste her.

Seit Monaten diskutierte deshalb ein Großteil der Partei nicht über Ausrichtung, Projekte und Visionen, sondern über die Satzung. Im Raum stand sogar ein Mitgliederentscheid. Robert Habeck hat seinen Beitrag zur Chaotisierung beigetragen. Zuerst wollte er die Trennung ganz aufheben, dann erbat er sich eine etwas lang erscheinende Übergangszeit von 12 Monaten – immerhin die halbe Amtszeit im Bundesvorsitz – um sich zuletzt vom Sondierungsteam der Jamaikasondierungen auf acht Monate als gemeinsamen Vorschlag zu einigen. Die allgemeine Einschätzung war: Je weniger Monate, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass eine Satzungsänderung die nötige Zweidrittel-Mehrheit bekommt.

Die Folge: Es lagen die unterschiedlichsten Anträge vor. Von der kompletten Abschaffung der Trennung von Parteiamt und Kabinettsmitgliedschaft, über 12 Monate, 8 Monate und – der Favorit des KV-Neukölln – 3 Monate Übergangszeit, war alles dabei. Die Debatte dazu hat einiges an Überraschungen geboten. Werner Graf, Berliner Landesvorsitzender, ist mit voller Verve für die Lösung mit drei Monaten in die Bütt gegangen. Doch es gab ein Problem. Robert Habeck hat angekündigt: Werden es nicht mindestens 8 Monate Übergangszeit, würde er nicht antreten.

Darüber gab es einigen Unmut. Eine freie Entscheidung über eine sinnvolle Übergangsfrist war damit kaum möglich, denn alles, was kürzer als acht Monate ist, wäre gleichzeitig eine Ablehnung von Robert Habeck als Parteivorsitzenden. Die allergrößte Mehrheit im Saal wollte die Wahl von Robert nicht gefährden. Genau das hat Werner Graf auch adressiert. Doch Robert Habeck ist zur Überraschung vieler selbst auf die Bühne gegangen, um für die acht Monate zu werben. Und er tat es mit Erfolg, der Saal war am Kochen. Einmal mehr zeigte er sein rhetorisches Geschick. Endgültig über die Zweidrittel-Hürde hob den Antrag dann Jürgen Trittin. Am Ende setzte sich die Regelung für eine achtmonatige Übergangsfrist mit einer Zustimmung von rund 80 Prozent durch. Der Freitag war zu Ende und dank der Satzungsänderung auch immer noch alle Kandidat*innen für den Bundesvorsitz im Rennen.

Der Samstag stand im Zeichen der Vorstandswahlen. Während der männliche Bundesvorsitz faktisch durch die Satzungsänderung schon geklärt war, gab es bei dem Frauenplatz für den Bundesvorsitz eine Kampfkandidatur. Es kandidierten Annalena Bearbock (37), Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg und Anja Piel (52), Fraktionsvorsitzende aus dem Landtag Niedersachsen. Es war nicht nur ein Rennen zwischen zwei Generationen, sondern der beiden Flügel. Mit Robert Habeck, der ohne Gegenkandidat antrat, war bereits ein Realo als Vorsitzender gesetzt. Annalena Baerbock ist ebenfalls bei den Realos verortet. Anja Piel verortet sich im linken Flügel. Bisher war es üblich, dass der Vorsitz zwischen beiden Flügeln geteilt wird, um die gesamte Breite der Partei abzubilden.

Die Delegierten hörten zwei gute Reden, doch am Ende konnte sich Annalena Baerbock mit 65 Prozent der Stimmen gegen Anja Piel durchsetzen. In ihrer Rede gab es auch viele Anknüpfungspunkte an die Parteilinke. Robert Habeck versuchte ebenfalls eine Umarmungsstrategie des linken Flügels. So positionierte er sich klar für eine stärkere Besteuerung von Vermögen, Kapital und Unternehmen. Er verorte die Partei im linksliberalen Lager. Am Ende wurde er mit rund 81 Prozent gewählt.

Spannend wurde es dann nochmal bei den Wahlen zu den stellvertretenden Vorsitzenden. Ein Amt, das es vorher noch nicht gab: Erst am Abend vorher wurden die weiteren Mitglieder im Vorstand durch eine Satzungsänderung in stellvertretende Vorsitzende umbenannt. Ziel der Aktion: Mehr Aufmerksamkeit für die weiteren Mitglieder des Vorstands. Durchaus sinnvoll, um diverser öffentlich auftreten zu können. Es kandidierten Jamila Schäfer, ehemalige Sprecherin der GRÜNEN JUGEND und Anna Cavazzini, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa. Am Ende konnte sich Jamila Schäfer knapp durchsetzen.

Das Signal des Parteitages war am Ende deutlich: Alles auf Reset, Zeit für Erneuerung. Die Partei hat jetzt mit Annalena und Robert zwei strahlende Vorsitzende, die personelle Erneuerung in der Partei ist abgeschlossen. Die Journalist*innen feiern das Ergebnis und die gezeigte Geschlossenheit, die Disziplin und Freshness, die das Neue ausstrahlt. Dieser Vorstand hat viel Potential, wenn er die Breite der Partei mitnimmt. Schafft er es nicht, werden die nächsten zwei Jahre holprig.