Kiezblock Reuterkiez – erste Maßnahmen, erste Wirkung

Hobrechtbrücke mit Radverkehrsanlagen 2025.

Seit Dezember 2023 ist der Reuterkiez in Berlin-Neukölln als sogenannter Kiezblock verkehrsberuhigt. Ziel des vom Bezirksamt entwickelten Verkehrskonzepts ist es, den Durchgangsverkehr zu unterbinden, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und die Aufenthaltsqualität im Kiez zu verbessern. Dafür wurden insgesamt neun Maßnahmen umgesetzt, darunter neue Einbahnstraßen, Quer- und Diagonalsperren sowie der Umbau der Hobrechtbrücke mit sicheren Radverkehrsanlagen.

Eine erste Auswertung der polizeilichen Unfalldaten durch das Bezirksamt belegt nun die Wirksamkeit der Maßnahmen: Im Jahr 2024 wurden 40 % weniger Verkehrsunfälle registriert als im Vorjahr, die Zahl der Leichtverletzten sank um 56 %, Schwerverletzte gab es anders als im Vorjahr keine. Auch der geschätzte Sachschaden reduzierte sich deutlich – um 52 % im Vergleich zu 2023. Auf den umliegenden Hauptstraßen Sonnenallee und Pannierstraße blieb die Unfalllage im selben Zeitraum stabil. Diese ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die verkehrsberuhigenden Maßnahmen im Reuterkiez bereits nach kurzer Zeit messbare Erfolge für die Verkehrssicherheit bringen.

Stadtrat Jochen Biedermann im Interview

Stadtrat Jochen Biedermann im Reuterkiez.

Was genau ist ein Kiezblock, und welche Ziele verfolgt dieses Konzept?

Ein Kiezblock verfolgt das Ziel, den Durchgangsverkehr aus Wohnkiezen herauszuhalten. Also den Verkehr, der nichts im Quartier erledigen will, sondern nur durchfahren. Der soll eigentlich die Hauptstraßen benutzen, wird aber von den Navigationsdiensten durch Nebenstraßen geschickt, sobald das auch nur einen kleinen Zeitgewinn verspricht. Das führt zu hoher Verkehrsbelastung in Wohnstraßen und damit zu Lärm, Gestank und Unfällen. Das stört natürlich viele Anwohner*innen, die sich Verkehrsberuhigung wünschen. Gleichzeitig bleiben in einem Kiezblock aber alle Adressen auch mit dem Auto erreichbar - nur nicht mehr auf jedem beliebigen Weg.

Wie unterscheidet sich ein Kiezblock von klassischen Verkehrsberuhigungsmaßnahmen wie Tempo-30-Zonen?

Auf den meisten Nebenstraßen gilt heute Tempo 30. Das Problem ist leider, dass immer mehr Verkehrsteilnehmer*innen die Regeln der Straßenverkehrsordnung nur noch als unverbindliche Verhaltensempfehlung verstehen. Die Polizei hat kürzlich in der Richardstraße verdeckte Tempomessungen durchgeführt. Ergebnis: 79% sind schneller als erlaubt gefahren. Das ist ein schockierender Wert und zeigt, wie falsch es ist, dass der Senat den Kauf von neuen Blitzern gestoppt hat. Denn überhöhte Geschwindigkeit ist extrem gefährlich. Wenn zum Beispiel plötzlich ein Kind auf die Straße rennt, steht ein Auto bei Tempo 30 nach rund 12 Metern. Bei Tempo 50 fährt es alleine in der Schrecksekunde 14 Meter - und fängt er dann überhaupt erst an zu bremsen.

Aber zurück zur Frage: ein Kiezblock ist deutlich mehr als nur ein paar Schilder mit Zahlen in roten Kreisen aufzuhängen. Dahinter steckt ein Konzept, das gezielt darauf abzielt, den Durchgangsverkehr unattraktiv zu machen, aber gleichzeitig die Erreichbarkeit für Rettungsfahrzeuge, für Gewerbetreibende und Anwohner*innen, die aufs Auto angewiesen sind, sicherzustellen. Klar ist aber auch: in einem Kiezblock soll es attraktiver werden, das Auto stehen zu lassen und zu Fuß zu gehen oder das Rad zu nehmen. Das geht nicht für alle, aber für viele. Es geht letztlich auch darum, Teufelskreise zu durchbrechen: etwa, dass Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Kita oder in die Schule bringen, weil sie sich wegen des vielen Verkehrs nicht trauen, mit dem Rad zu fahren.

Warum wurde der Reuterkiez als Standort für einen der ersten Kiezblocks in Neukölln ausgewählt? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Kiezblock erfolgreich umgesetzt werden kann?

Es gab dazu einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), einen erfolgreichen Einwohnerantrag mit mehr als 1000 Unterschriften für die Einführung und auch eine entsprechende Vereinbarung in der Zählgemeinschaft der Grünen mit der SPD. Und es gab Mittel für die Erstellung des Verkehrskonzepts von der damaligen rot-grün-roten Landesregierung. Vor allem aber gab es in der Vergangenheit im Reuterkiez immer wieder - teilweise schwere - Unfälle. In 2023 wurde die Polizei statistisch gesehen fast jeden Tag zu einem Unfall im Reuterkiez gerufen. Nachdem wir im Dezember 2023 das erste Maßnahmenpaket umgesetzt haben, nur noch etwa vier Mal pro Woche.

Wie wurde entschieden, wo Einbahnstraßen, Diagonalsperren oder bauliche Veränderungen vorgenommen werden und wer war am Planungsprozess beteiligt?

Das Verkehrskonzept für den Reuterkiez wurde zwischen 2021 und 2022 gemeinsam mit interessierten Bewohner*innen erarbeitet. Die beauftragten Büros haben Daten ausgewertet, selbst Verkehrszählungen gemacht, mit lokalen Akteuren gesprochen und dann gemeinsam mit dem Bezirksamt das Konzept entwickelt. Das haben wir in mehreren internen und öffentlichen Runden diskutiert und immer wieder angepasst. Denn Verkehrsströme sind sehr komplex und es müssen sehr viele legitime Interessen berücksichtigt und abgewogen werden.

Welche Rückmeldungen gab es bisher von Anwohner*innen, Gewerbetreibenden oder Verkehrsteilnehmenden?

Die Verkehrspolitik ist in Berlin leider extrem polarisiert. Das haben wir auch bei den Rückmeldungen gemerkt, die naturgemäß sehr unterschiedlich und teilweise auch wenig sachlich waren. Insgesamt haben wir aber mehr positive als negative Rückmeldungen bekommen. Das hat mich sehr gefreut, denn oftmals liegt es näher, sich mit Kritik zu Wort zu melden, als mit Zustimmung. Es zeigt mir, dass viele hinter dem stehen, was wir tun. 

Die Zahl der Unfälle, der Verletzten und der geschätzte Sachschaden ist stark gesunken. Welche Rolle spielen hier bauliche Veränderungen und veränderte Verkehrsströme?

Wir haben mit einem Rückgang gerechnet - aber der ist tatsächlich deutlich stärker ausgefallen, als ich erwartet hätte. 2023 wurden im Reuterkiez bei Verkehrsunfällen sechs Menschen schwer und 36 leicht verletzt. 2024 gab es keine Schwerverletzten und 16 Leichtverletzte. Das liegt natürlich auch daran, dass die Verkehrsmengen im Kiez abgenommen haben. Aber wir haben uns auch angeschaut, wie sich die Unfälle auf der Sonnenallee und der Pannierstraße entwickelt haben - und dort sind die Unfallzahlen nicht gestiegen.

Für ein endgültiges Fazit ist es zu früh, aber die Zahlen zeigen eindeutig, dass Verkehrsberuhigung zu mehr Sicherheit führt. Das wird auch vor Ort so wahrgenommen: mir haben Eltern geschrieben und sich bedankt, weil sie sich jetzt trauen, ihr Kind alleine zur Schule radeln zu lassen. Das motiviert mich und zeigt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

 

Jochen Biedermann ist seit 2016 Stadtrat für Neukölln. Seit 2021 ist er im Bezirksamt für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr zuständig.
Dieser Artikel wurde am 29. April 2025 veröffentlicht. 

Presse

Für Medienanfragen wenden Sie sich bitte an unsere Mitarbeiterin:

Stefanie Stier
Mitarbeiterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mail: presse(at)gruene-neukoelln.de
Tel.: 0157 845 73 748