"Wir brauchen Neubau. Aber den Richtigen!" Interview mit Jochen Biedermann zum Neuköllner Modell

Am 5.3.2020 stellte unser Grüner Stadtrat Jochen Biedermann das Neuköllner Modell für kiezverträglichen Wohnungsbau vor: Analog zum „Berliner Modell“ verpflichtet es Investor*innen, 30% des neu entstehenden Wohnraums mietpreisgebunden anzubieten und sich zudem an den Kosten der sozialen Infrastruktur wie Kitas oder Schulen im Kiez zu beteiligen. Was daran neu ist? Das Modell gilt überall dort, wo kein neuer Bebauungsplan, sondern die Befreiung vom gültigen Bebauungsplan erforderlich ist. Zum Beispiel bei kleineren Bauvorhaben über 1000 qm wie einem Lückenschluss zwischen zwei Gebäuden oder einer Bebauung des Innenhofs. Im Interview erklärt Jochen Biedermann wie das Modell funktioniert und zu einer sozial-nachhaltigen Stadtentwicklung beiträgt.

Jochen, was ist das Neuköllner Modell?

Das Neuköllner Modell ermöglicht es uns, sozialen Wohnungsbau auch dort durchzusetzen, wo wir dazu bisher keine Handhabe hatten. Das sind die vielen kleinen Neubauprojekte für die es keinen neuen Bebauungsplan braucht: Lückenschlüsse, kleine ungenutzte Grundstücke oder Neubau in großen Innenhöfen. Bisher hatten wir keine Handhabe, entsprechende Baugenehmigungen an Bedingungen zu knüpfen. Außerdem verlangen wir in diesem Zuge auch eine Beteiligung an den Kosten für neue Kita- und Schulplätze. Denn die fehlen fast flächendeckend schon heute im Bezirk.

Stellen wir uns das ganz konkret vor: Wo in Neukölln funktioniert das Modell und wie?

Es wird überall dort zum Einsatz kommen, wo dem Grunde nach Baurecht besteht, aber das konkrete Vorhaben umfangreicher ist als das, worauf ein Rechtsanspruch besteht. Konkret gehe ich davon aus, dass es hauptsächlich im Neuköllner Norden zum Einsatz kommen wird. Dort gilt meist der Baunutzungsplan, die Vorstellungen der Bauherren gehen aber über dessen Festsetzungen oft weit hinaus.

Wozu braucht Neukölln dieses neue Instrument?

Bisher hatten wir keine Handhabe, Bauanträge abzulehnen, selbst wenn ich davon überzeugt war, dass das was dort beantragt wurde, nicht das ist, was Neukölln braucht. Dann haben mich immer Leute empört angesprochen: Wie könnt Ihr im Milieuschutzgebiet so ein Vorhaben genehmigen, wo hinterher der Mietpreis pro Quadratmeter bei 20 Euro liegt. Und ich musste dann immer erklären, dass wir mit Milieuschutz nur den Bestand schützen können, aber keine Handhabe bei Neubau haben. Gleichzeitig sage ich auch deutlich: Wir brauchen Neubau. Aber den Richtigen. Und da hilft das Instrument: Wir ermöglichen Neubau, aber wir knüpfen ihn an Bedingungen. Wir setzen Regeln. Das ist mein Verständnis von Politik. Zugleich muss ich auch sagen: wir versuchen auszugleichen, dass sich auf Bundesebene im Baurecht einfach nichts tut. Das ist nicht einfach, weil wir ja selber keine Gesetze machen, sondern sie nur anwenden können. Änderungen sind hier überfällig!

Wem nützt das Neuköllner Modell?

Neukölln (lacht). Doch, ich glaube tatsächlich, dass es ein wichtiges Signal für alle Neuköllner*innen ist, wenn im Neubau nebenan nicht nur Eigentumswohnungen entstehen oder Mieten von teilweise über 20 Euro/qm verlangt werden, sondern ein Drittel der Wohnungen für Menschen mit niedrigem bis mittlerem Einkommen vorgesehen sind. Das Modell leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherung und zum Ausbau bezahlbarer Mietwohnungen und einer notwendigen sozialen Infrastruktur wie Kitas und Schulen. Es ist ein wichtiger Beitrag für den Zusammenhalt unserer Kieze.

Wird das Neuköllner Modell dazu führen, dass weniger gebaut wird?

Als 2014 das sogenannte Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung eingeführt wurde, also ein Modell mit dem die Baurechtsschaffung an einen Anteil von Sozialwohnungen gekoppelt wurde, haben viele geunkt, dass damit der Neubau abgewürgt wird. Das ist nicht passiert. Das Berliner Modell ist heute selbstverständlich. Jede*r Projektentwickler*in weiß das und bezieht es von Anfang an mit in die Kalkulation ein. Ich gehe davon aus, dass das beim Neuköllner Modell ebenfalls so sein wird.

Und ab wann gilt das Neuköllner Modell?

Ab sofort.