Wohnen nur für Reiche und Eigentümer_innen? - Bauen à la SPD

Wohnbaupotentiale in Neukölln abseits des Tempelhofer Feldes. Grafik: Kalle Erlacher, Quelle: Wohnbaupotentialstudie für Berlin-Neukölln

Gerade mal drei Jahre ist es her, dass die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) den Berliner Wohnungsmarkt für entspannt hielt. Eine Einschätzung, der heute angesichts von rasant steigenden Mieten und langen Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen wohl niemand mehr folgen würde. Der Berliner Senat geht inzwischen davon aus, dass sich die Zahl der Berliner_innen bis zum Jahr 2030 um 250.000 erhöhen wird. Auch wenn sich ähnliche Prognosen in der Vergangenheit meist als falsch erwiesen haben – Neubau ist wieder ein Thema in Berlin.

Neuköllner Studie zeigt Wohnungsbaupotentiale

In einer Studie hat der Bezirk Neukölln untersucht, welche Wohnungsbaureserven im Bezirk Neukölln bestehen. Nach anfänglichem Zögern hat das Bezirksamt auf grünen Druck hin zumindest die Kurzfassung dieser Studie inzwischen veröffentlicht und ins Internet gestellt (<link http: www.berlin.de ba-neukoelln org pbv bauleit_stapl.html external-link-new-window externen link in neuem>abrufbar hier auf den Webseiten des BA, Link am Ende der Seite). Der Bezirk hat damit eine wichtige Grundlage geschaffen, um die Diskussion über Wohnungsneubau zu versachlichen und zu transparenten Entscheidungen kommen zu können.

Dabei ergaben sich 41 Potentialflächen für größere Wohnungsbauvorhaben mit mehr als 50 Wohneinheiten. Daneben wurden auch Dachgeschossausbauten in den Quartieren innerhalb des S-Bahn-Rings und Nachverdichtungen in den sogenannten Großsiedlungen wie der Gropiusstadt in die Überlegungen einbezogen. Insgesamt kommt die Studie zu einem Potential von geschätzten 14.130 Wohnungen in Neukölln, dem ein rechnerischer Bedarf aus der Bevölkerungsprognose des Senats von 10.950 neuen Wohnungen gegenüber gestellt wird.

Mit neuen Wohnungen alleine ist es allerdings auch nicht getan – neue Einwohner_innen benötigen auch das, was im Amtsdeutsch „soziale Infrastruktur“ heißt: Kitas und Schulen, Spielplätze und Jugendeinrichtungen. Schon heute gerät die Suche nach einem Kitaplatz für viele Eltern zum Glückspiel, platzen Schulen trotz längst zum Dauerzustand gewordener Container auf dem Schulhof aus allen Nähten. Und das längst nicht nur innerhalb des S-Bahn-Rings, sondern auch in weiten Teilen von Britz.

Die Sünden der Vergangenheit

Viele der in der Studie benannten Flächen sind aus Grüner Sicht gut für Wohnungsbau geeignet – weit besser, als das Tempelhofer Feld, das für den hoch verdichteten Neuköllner Norden eine wichtige Erholungs- und Sportfläche ist und das nur schwer an den Verkehr – vor allem den Öffentlichen Nahverkehr – angebunden werden kann.

Allerdings liegt es längst nicht mehr allein in öffentlicher Hand, ob auf geeigneten Flächen auch tatsächlich Wohnungen entstehen. So passiert auf der Fläche der ehemaligen Frauenklinik am Mariendorfer Weg seit Jahren nichts. Die Fläche wurde an einen Finanzinvestor verkauft, der bereits mit der Sicherung des Geländes offenkundig überfordert ist. Auch viele andere ehemals öffentliche Flächen wurden in den letzten Jahren vom Berliner Senat meistbietend verscherbelt und stehen durch diese kurzsichtige, in erster Linie auf Finanzen fixierte Politik daher heute für öffentliche Anliegen nicht mehr zur Verfügung.

Das Wie ist entscheidend

So dringend Berlin neue Wohnungen braucht – entscheidend ist, welche. Die CDU etwa setzt vor allem auf Eigentumswohnungen und hat erfolgreich verhindert, dass im Gesetzentwurf der rot-schwarzen Koalition zum Tempelhofer Feld das Wort „sozial“ auch nur auftaucht. Untersuchungen zeigen zudem, dass es keineswegs so ist, dass neue Wohnungen automatisch zu sinkenden Mieten führen. Vielmehr steigen die Mieten bei Neuvermietung nach wie vor besonders stark. Die schwarz-rote Bundesregierung hat zwar angekündigt, hier steuernd einzugreifen, bisher ist es aber bei der Ankündigung geblieben. Taten – Fehlanzeige. Zwar will der Senat den Neubau von bezahlbarem Wohnraum auch finanziell fördern – allerdings nur in einer Größenordnung von 1.000 Wohnungen pro Jahr in einem Zeitraum von fünf Jahren. Das bedeutet rein rechnerisch pro Bezirk gerade einmal 83 geförderte Wohnungen. Und von diesen soll nur ein Drittel für Bezieher_innen von Transferleistungen erschwinglich sein, also gerade einmal 28.

Der Bezirk Neukölln weigert sich mit Verweis auf fehlendes Landesrecht kategorisch, eine Verpflichtung zum anteiligen Bau von bezahlbarem Wohnraum bei der Aufstellung von Bebauungsplänen auch nur zu prüfen. Jüngst regte sogar die Senatsverwaltung für Finanzen – nicht gerade als Hochburg des sozialen Wohnungsbaus bekannt – gegenüber dem Neuköllner Bezirksamt entsprechende Regelungen an: „Könnte es nicht zielführend sein, den möglichen Vorhabenträger zu der Bereitstellung eines gewissen Anteils von preisgünstigem Wohnraum zu verpflichten?“ Die Antwort des Bezirks fiel klar und negativ aus: „Das angemerkte Erfordernis besteht insofern nicht.“

Bürger_innen anders beteiligen – und erst nehmen

Wo immer gebaut wird, organisieren sich häufig Anwohner_innen, die sich gegen die Bebauung vor ihrer Haustür wehren. Mal mit besseren, mal mit schlechteren Argumenten. Die Erfahrung zeigt: Werden sie ernst genommen, sind sie gesprächsbereit und beharren keineswegs auf Maximalforderungen. Oft können sie sogar helfen, die Planungen zu verbessern. Fühlen sie sich dagegen verschaukelt, schalten sie auf Konfrontation. In Neukölln passiert leider allzu oft Letzteres. Wenn Bürger_innen ihre berechtigten Interessen vertreten, geht die Reaktion des Neuköllner Bezirksamtes manchmal sogar so weit, die Kommunikation mit ihnen komplett einzustellen. So aber kann die große Aufgabe, in den nächsten 15 Jahren neue Wohnungen für 20.000 Neu-Neuköllner_innen zu bauen, nicht gelingen.

Jochen Biedermann, Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses der BVV Neukölln