Was wir essen, sollte mehr als nur schmecken
Von gutem Essen und großer Verantwortung schreibt Sibylle Steffan, Grüne Direktkandidatin im Wahlkreis 4, für unsere Bezirkszeitung.
Die Soja-Bohnen unseres veganen Bio-Schnitzels sind nicht selten um die ganze Welt gereist, Handwerksbäcker verschwinden aus dem Stadt-bild und durch die Schulkantine weht der Duft von Frittenfett. Dabei legen doch immer mehr Menschen Wert auf Bio-Qualität und auf regionale Lebensmittel, die gerade Saison haben. Nicht wenige sind dafür auch bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Wo liegt also das Problem?
Schon jetzt ist Berlin der größte Bio-Absatzmarkt Europas. Doch kann der Bedarf an Bio-Lebensmitteln längst nicht aus dem Berliner Umland gedeckt werden. Anstelle von Höfen, die ihre Produkte veredeln und direkt nach Berlin vermarkten, finden sich besonders im Osten Deutschlands riesige Agrarfabriken. Auf Export ausgerichtet liefern sie ihre billig produzierten Nahrungsmittel nicht nur auf den europäischen Binnenmarkt, sondern auch in die USA oder nach Asien.
Bäuerliche Betriebe sterben
Bäuerliche Betriebe können im Wettbewerb mit der Agrarindustrie nicht mithalten. Allein in den letzten gut 20 Jahren haben 90 Prozent der Kleinbetriebe dichtgemacht. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist dabei jedoch gleich geblieben. Dieser Strukturwandel führt dazu, dass Arbeitsplätze und Wertschöpfung auf dem Land verloren gehen. Und das Einkommen der Landwirt*innen ist mager, da die Preise, die unsere konventionellen Lebensmittel im Supermarkt erzielen, im europäischen Ver-gleich äußerst niedrig sind – auch aufgrund des harten Wettbewerbs durch Discounter im Einzelhandel.
Ein krankes System zulasten sich entwickelnder Länder
Der Strukturwandel ist Folge einer verfehlten Agrarpolitik, die von Lobbyinteressen großer Agrarbetriebe stark beeinflusst ist. Statt mit öffentlichen Geldern kleinen Betrieben unter die Arme zu greifen, wird damit umfangreicher Bodenbesitz belohnt. Je mehr Fläche, desto mehr öffentliches Geld, das übrigens kaum an Auflagen gekoppelt ist. Als Folge sind Betriebe nicht nur aufgrund des ausgeprägten Wettbewerbs um möglichst günstige Produktionsbedingungen, sondern auch wegen der Vergabe öffentlicher Gelder gezwungen, zu wachsen – oder eben aufzugeben.
Diese "Wachse oder Weiche"-Doktrin beeinflusst auch die Handelspolitik. Wenn die Agrarindustrie zu viele Lebensmittel für einen satten europäischen Markt produziert, wird auch Export zulasten sich entwickelnder Länder gefördert. Zu viel Milch geht als Milchpulver nach Westafrika und zerstört dort mit Dumping-Preisen regionale Märkte. So verlieren Menschen vor Ort ihre wirtschaftliche Existenz und eine ganze Region ihre Entwicklungsperspektive.
Die Agrarindustrie sprengt planetare Grenzen
Die weltweite Agrarindustrie zerstört unsere natürlichen Lebens-grundlagen durch Monokulturen und den Einsatz von Pestiziden, so dass Artenvielfalt verloren geht und Böden sich nicht mehr regenerieren können. Die Landwirtschaft ist zweitgrößter Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland, vor allem von Methan durch Tierhaltung oder von Lachgas als Folge der Stickstoffüberdüngung. Über die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Wie wir Landwirtschaft betreiben entscheidet also darüber, wie wir mit unserer Erdoberfläche umgehen wollen.
Ein Systemwechsel, der Verbraucher*innen einbindet
Bäuerinnen und Bauern beackern unser Gemeinwohl. Doch in der aktuellen Form können sie dieser Aufgabe nicht gerecht werden. Daher zielt die Agrarwende auf einen Systemwechsel: Die gesamte Wertschöpfungskette von Lebensmitteln von der Produktion der Rohstoffe bis zu uns Verbraucher*innen muss umgekrempelt werden. Unser Ziel muss sein, alle Menschen auf der Welt mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen, dabei regionale Wirtschaftspotentiale zu entwickeln und die planetaren Grenzen zu respektieren.
Dazu gehören hohe Umweltstandards, faire Rahmenbedingungen in Wettbewerb und Handel und ein Umsteuern in der Förderpolitik, die den Umstieg auf ein nachhaltiges System ermöglichen muss. Mit klarer Kennzeichnung an der Ladentheke wird unsere Kaufkraft zur Macht. Durch gutes Essen in der Schule und Ernährungsbildung – ob durch "urban gardening", Schulgärten oder Imkern – erhalten wir den gesellschaftlichen Wert guten Essens, das mehr kann als nur schmecken.
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