Staatssekretär Kirchner in der Neuköllner Bezirksgruppe

Berlin soll ein Radverkehrsgesetz bekommen. Der dafür verantwortliche Staatssekretär für Verkehr, Jens-Holger Kirchner, stellte in der Neuköllner Bezirksgruppe am 27. Juni den Prozess und die Inhalte des Gesetzes vor. Bis Ende des Jahres soll das Gesetz im Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Es wäre das erste seiner Art in Deutschland.

 

Kurz vor sieben wurden die Abstellplätze für Fahrräder vor der Geschäftsstelle knapp. Wie passend, dass heute Abend der Berliner Staatssekretär für Verkehr zu Gast ist. Jens-Holger Kirchner trägt Anzug und stellt sich mit Nachnamen vor. Immerhin ist er seit einem halben Jahr kein grüner Bezirkstadtrat in Pankow mehr, sondern Staatsekretär in der Senatsverwaltung. Doch wenn der 57-Jährige über das Radverkehrsgesetz spricht, wird seine Leidenschaft für das Projekt deutlich: Eine „Revolution“ sei das Gesetz, das erste dieser Art in Deutschland – sowohl was die Struktur als auch den Dialog mit der Zivilgesellschaft angeht.

Das Radverkehrsgesetz ist Teil eines umfangreichen Mobilitätsgesetzes; dieses wiederum umfasst auch Fußverkehr und ÖPNV und soll eine zukunftsfähige Grundlage für die Mobilitätsbedürfnisse der Metropolregion Berlin-Brandenburg werden. „Es geht um nicht weniger als die Verteilung des öffentlichen Raumes“, sagt Kirchner. Deshalb gehe es auch um übergreifende Ziele und Regeln zur Konfliktbewältigung. Für den Radverkehr sind bis 2025 geplant: 100.000 neue Abstellmöglichkeiten, Radwege an allen Hauptstraßen und die Steigerung des Radverkehrs am Verkehrsaufkommen um 30 Prozent innerhalb der Umweltzone. Außerdem ist die „Vision Zero“ vorgesehen, eine Reduzierung von Verkehrstoten und Schwerverletzten auf null.

Doch es geht um mehr als nur die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur. Es geht um Klima- und Umweltschutz, um eine bessere Anbindung des Umlandes und um eine „integrierte Herangehensweise“, die die Interessen aller Verkehrsteilnehmer*innen abwägen soll. Zudem sollen im Mobilitätsgesetz Regelungen zur Finanzierung und Selbstverpflichtung anderer Beteiligter wie der BVG und der Berliner Wasserbetriebe festgeschrieben werden. Denn oft würden sich Maßnahmen verzögern, wenn es bei einem der Beteiligten hakt. Ein Gesetz bringe dabei den Vorteil, dass es verbindlich ist, „egal welche Verwaltung gerade dran ist“. Operative Handlungsfragen müssten immer daran ausgerichtet sein.

Nach Kirchners Präsentation gab es viele Nachfragen und Kommentare in der Bezirksgruppe, z.B. was die Einbeziehung von Gender- und Diversity-Kriterien anbelangt. Kirchner räumte ein, dass diese nicht beachtet wurden. Allerdings würde der Gesetzentwurf im Nachhinein auf Unstimmigkeiten überprüft. Außerdem wurde geäußert, dass es eine gewisse Frustration in der „Radfahrer*innen-Szene“ gebe. Zuletzt hagelte es immer wieder Kritik von zivilgesellschaftlichen Gruppen am Zeitplan. Kirchner erwiderte: „Wenn alles klappt, sind es nicht einmal zehn Monate vom Beginn des Dialogprozesses bis zur Verabschiedung“. Am 14. September soll das Radverkehrsgesetz im Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Eine kurze Zeit, gerade weil vieles von Grund auf neu gedacht werden musste: „Es gibt dafür keine Blaupause, wir betreten hier Neuland“. Außerdem sei man durch den Dialogprozess und die Zusammenarbeit gemeinsam dafür verantwortlich. Der Gegner sei nicht der Senat, sondern Teile der Stadtgesellschaft, die einen Angriff auf das Auto sehen und gegen das Gesetz mobil machen.