Interview mit Stadtrat Jochen Biedermann: "Dass manche Investoren nicht gut auf mich zu sprechen sind, gehört zu meinem Job."

Jochen Biedermann in seinem Büro im Neuköllner Rathaus.

Seit etwa einem Jahr ist Jochen Biedermann Neuköllns Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste. Im Interview spricht er über seine tägliche Arbeit gegen steigende Mieten, die Grenzen des Milieuschutzes und fordert von der Bundespolitik Änderungen im Mietrecht.

Jochen, seit einem Jahr kämpfst du als Stadtrat gegen steigende Mieten in Neukölln. Wie genau machst du das?

Wir haben im letzten Jahr den Milieuschutz in Neukölln deutlich ausgeweitet und geschärft. Wir haben Eigentümer*innen gezeigt, dass wir unsere Regelungen auch ernst nehmen und es nicht hinnehmen, wenn einfach ohne Genehmigung Tatsachen geschaffen werden. Ich konnte durchsetzen, dass im Bezirksamt eine zusätzliche Stelle für Milieuschutz geschaffen wird und in den nächsten zwei Jahren jährlich 80.000 Euro für Mieter*innenberatung zur Verfügung steht. Ich war bei unzähligen Mieter*innen und Hausgemeinschaften zu Gast und habe sie und mich mit ihnen beraten. Und wir haben begonnen in Neukölln das Vorkaufsrecht zu nutzen, zum ersten Mal bei einem Haus in der Liberdastraße.

Wenn man überlegt, dass unser grüner Antrag zum Vorkaufsrecht im Sommer letzten Jahres noch in der Bezirksverordnetenversammlung abgelehnt worden ist, dann sehen wir, wie viel sich an der Politik seither durch uns Grüne verändert hat. Dabei ist klar: Weder Milieuschutz noch Vorkaufsrecht sind Allheilmittel, aber ich denke ich habe schon gezeigt, dass eine konsequente Nutzung aller bezirklichen Instrumente einen spürbaren Effekt hat.

Welche Erfahrungen hast du bei den Gesprächen und Verhandlungen mit Investoren gemacht?

Ich halte nichts von pauschalen Feindbildern und bin immer zu Gesprächen bereit. Viele Vermieter*innen sind anständige Menschen, mit denen man auch reden und oft gute Lösungen finden kann. Aber natürlich gibt es auch die Immobilienfonds, mit denen man selber gar nicht reden kann, sondern die ihre hochspezialisierten Immobilienrechtsanwaltskanzleien losschicken. Aber davor habe ich keine Angst. Allzu zimperlich darf man natürlich nicht sein. Dass bestimmte Kreise nicht gut auf mich zu sprechen sind und das auch äußern, gehört zu meinem Job dazu. Absurd finde ich, wenn bestimmte Investoren bei mir am Tisch betonen, wie sozial sie doch sind und ich sehe, wie sie sich in der Realität verhalten.

 

„Weder Milieuschutz noch Vorkaufsrecht sind Allheilmittel, aber ich denke, ich habe schon gezeigt, dass eine konsequente Nutzung aller bezirklichen Instrumente einen spürbaren Effekt hat.“

 

Obwohl fast ganz Neukölln oberhalb des S-Bahn-Rings mittlerweile unter Milieuschutz steht, werden Menschen und kleine Gewerbetreibende verdrängt. In der Weserstraße will ein Investor Mietwohnungen in Eigentum umwandeln, das Jugendzentrum „Schilleria“ im Schillerkiez ist durch eine Mieterhöhung bedroht und in der Pannierstraße muss eine kleine Bäckerei dicht machen - während der Bezirk zuschaut. Warum?

Ja, das ist leider so. Wir kommen mit dem, was jetzt im Bezirk, aber auch auf Landesebene passiert, um Jahre zu spät. Wir haben einen völlig überhitzten Immobilienmarkt mit völlig irren Renditen. Erst hat Berlin sein Tafelsilber verscherbelt. Dann ist jahrelang zu wenig und vor allem das falsche gebaut worden, weil Investoren praktisch nie zu einem Anteil bezahlbaren Wohnungen verpflichtet worden sind. Das fällt uns jetzt auf die Füße und wir können nur so gut es geht Schadensbegrenzung betreiben. Hinzu kommt: Auf Bundesebene ist in den letzten Jahren so gut wie nichts beim Mieter*innenschutz passiert. Die 7-Jahres-Regelung, mit der Wohnungen trotz Milieuschutz in Eigentumswohnungen umgewandelt werden können, kommt aus dem Bundesrecht. Das ist eigentlich als Ausnahmetatbestand gedacht gewesen, de facto ist das aber kein kleines Schlupfloch, sondern ein Scheunentor. Eines von vielen Beispielen, was sich auf Bundesebene dringend ändern muss.

Darüber hinaus gilt Milieuschutz und fast alle anderen Instrumente, die wir haben, nur für Wohnungen, nicht für Gewerbe. Hier gibt es praktisch keine Schutzinstrumente. Gegen steigende Gewerbemieten und Verdrängung von sozialer Infrastruktur, von kleinen Handwerksbetrieben und alteingesessenen Läden - haben wir kaum Instrumente. An einigen Stellen können wir über das Planungsrecht gegensteuern, aber eben nur bei Randaspekten. Für andere Instrumente braucht es hier die Landes- und die Bundesebene. Woran wir im Moment arbeiten, ist Gastronomie nicht mehr überall neu zu genehmigen. Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg praktizieren das bereits. Auch in Neukölln gibt es Ecken, wo das meiner Meinung nach Sinn machen würde.

Bei so vielen Ausnahmen und Einschränkungen - ist der Milieuschutz trotzdem ein wichtiges und effizientes Werkzeug, um sozialer Verdrängung entgegenzuwirken?

Ja, definitiv. Wir erzielen damit Erfolge und schützen Menschen ganz konkret vor Verdrängung. Aber es ist mühsam und es kostet Kraft. Und es klappt halt auch nicht immer. Gerade beim Vorkaufsrecht muss ich leider auch manches Mal Erwartungen dämpfen und Menschen enttäuschen, wenn ihr Haus an einen Investor verkauft wird. Das ist sehr bitter und es deprimiert mich sehr. Aber dass wir es einmal geschafft haben, heißt eben nicht, dass wir es in jedem Fall schaffen. Jeder Fall ist anders und braucht intensive Betreuung und Begleitung. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. In manche Prüfung stecken wir viel Zeit und Kraft – und am Ende reicht es trotzdem nicht. Zudem fehlt mir das notwendige Personal dafür. Meine Leute machen das mit großem Einsatz – aber sie machen es letztlich nebenher.

 

„Erst hat Berlin sein Tafelsilber verscherbelt. Dann ist jahrelang zu wenig und vor allem das falsche gebaut worden. Das fällt uns jetzt auf die Füße und wir können nur so gut es geht Schadensbegrenzung betreiben.“

 

In diesen Wochen werden Gespräche über eine mögliche neue Bundesregierung geführt. Was muss im Koalitionsvertrag stehen, damit du noch effizienter gegen steigende Mieten vorgehen kannst?

Oh, ich habe eine lange Wunschliste an die neue Bundesregierung. Am wichtigsten sind mir aber drei Punkte:

Erstens: Eine Mietpreisbremse, die wirklich ihren Namen verdient. Die jetzige Mietpreisbremse ist ja von vorne herein so konstruiert worden, dass sie praktisch keine Wirkung erzielt. Vermieter*innen müssen die Vormiete nicht veröffentlichen, gegen zu hohe Mieten müssen die Mieter*innen selbst klagen. Sich nicht an das Gesetz zu halten, ist für Vermieter*innen fast risikolos. Da muss dringend nachgebessert werden.

Zweitens: Die Modernisierungsumlage von 11 Prozent, mit der Vermieter*innen Sanierungskosten auf die Bewohner*innen umlegen können, muss drastisch reduziert werden. Mietsteigerungen von vier Euro und mehr pro Quadratmeter können sich viele Mieter*innen schlicht nicht leisten. Damit würden sicherlich auch viele wenig sinnvolle Maßnahmen wegfallen.

Drittens: Ein Mietrecht, das die Schwächeren besser schützt. Leider geht es inzwischen ziemlich schnell, die Wohnung zu verlieren, wenn jemand zum Beispiel seine Miete ein paar Mal unregelmäßig zahlt oder weil Mietschulden entstanden sind. Mit dem Wohnungsverlust gerät das Leben meist aus den Fugen. Wir hätten als Sozialamt durchaus Möglichkeiten das zu verhindern, das würde aber erfordern, dass die Kündigung dann wirklich vom Tisch ist. Das ist leider im Moment nicht der Fall.

Was können Betroffene ganz konkret tun, wenn sie mitbekommen, dass ihr Haus verkauft werden soll?

Das wichtigste ist es, sich im Haus zu vernetzen und sich auszutauschen. Mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Und sich natürlich ans Bezirksamt zu wenden, z.B. per Mail an milieuschutz@bezirksamt-neukoelln.de. Es hilft uns, Ansprechpartner*innen zu haben, mit denen wir Fragen rund ums Haus klären können. Und je früher wir erfahren, dass ein Haus verkauft werden soll, umso mehr Zeit haben wir, gemeinsam mit den Bewohner*innen an einer Lösung zu arbeiten. Aber auch dann gibt es keine Garantie, dass es klappt.

Vielen Dank für das Interview.

Raphael Schanz