Interview: „Eine Neuausrichtung der bisherigen Tourismuspolitik“

Katrin Schmidberger, MdA

Katrin Schmidberger ist seit 2011 Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus und Sprecherin der grünen Fraktion für Tourismus. Sie hat sich für ein neues Tourismus-Konzept stark gemacht. Denn sie hat genug davon, dass es immer nur um den nächsten Besucherrekord geht, aber die Berliner*innen mit Lärm, Müll und der „Ballermannisierung“ ihrer Kieze alleine gelassen werden. Ein Thema, das uns auch in Neukölln bewegt. Wir haben nachgefragt, wo die Probleme liegen und was sich ändern wird.

 

 

Was stört dich am Tourismus in Berlin?

Mich stört nicht der Tourismus als solcher, sondern die Art und Weise, wie bisher mit den Folgen umgegangen wurde. Bei Rot-Rot oder Rot-Schwarz zählte immer nur der nächste Besucherrekord. Was das für die Stadt, die Kieze und vor allem die Menschen vor Ort bedeutete, das spielte keine Rolle. Ob Ferienwohnungen, immer neue Hostels oder die Bier-Bikes auf den Straßen – alles lief völlig ungebremst. Ebenso wurde jahrelang ignoriert, dass der Städtetourismus sich längst verändert hat und die Städte vor neue Herausforderungen stellt.

Wir beobachten seit längerem, dass Tourist*innen nicht mehr ausschließlich die für sie vorgetretenen Pfade zu den Sehenswürdigkeiten gehen, sondern sich für das Kiezleben und die lokale Kultur interessieren. Fluch oder Segen?

Ich würde das als Herausforderung beschreiben. Besucher*innen sind immer mehr temporäre Stadtnutzer*innen, die das authentische Kiezleben suchen. Viele Berliner*innen verhalten sich ja ähnlich, wenn sie andere Städte besuchen. Aber das hat natürlich auch Folgen: Kombiniert mit einer veränderten innerstädtischen Nachfrage stellt das die Stadt vor neue Aufgaben. Insbesondere im Nachtleben ziehen die Hotspots in Kreuzberg, Neukölln oder Friedrichshain immer mehr Berliner*innen aus der ganzen Stadt an, die sich mit den Tourist*innen mischen. Immer häufiger klagen Anwohner*innen über eine zunehmende „Ballermannisierung“.

Wie wirkt sich diese „Ballermannisierung“ denn auf die Kieze aus?

Das sind klassische Probleme, wie die zunehmende Lärm- und Müllbelästigung. Auch die gewachsenen lokalen Strukturen verändern sich, werden verdrängt und die oft bunt gemischte Einzelhandelsstruktur geht verloren. Das gewerbliche Angebot richtet sich zunehmend an die Bedürfnisse der wachsenden Besucher*innenzahlen und nicht mehr an die Bewohner*innen. Schließlich ist auch die Herausbildung von gastronomischen Monostrukturen ein stark wachsendes Problem.

Auch in Neukölln gibt es zunehmend Interessenskonflikte zwischen Anwohner*innen und Besucher*innen. Für viele ist Tourismus ein Synonym für Lärm und Müll. Was muss passieren, damit die Akzeptanz des Tourismus in der Bevölkerung steigt?

Lärm und Müll sind Probleme, die zwar von immer mehr Berliner*innen bemängelt werden, die aber nicht einseitig mit dem Tourismus zusammenhängen. Vielmehr sind sie Folge von verändertem Verhalten und von Besucherströmen in der Stadt. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob die Menschen aus Spanien oder Spandau kommen. Immer öfter ist eine Übernutzung der öffentlichen Räume zu beobachten, auf die wir mit einem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur reagieren müssen.

Was heißt das konkret?

Wir brauchen an den Hotspots z.B. mehr und größere Mülleimer sowie häufigere Straßenreinigungen. Die Kosten dafür muss das Land übernehmen. Einnahmen aus der City-Tax [Anm. d. Red.: Übernachtungssteuer] gibt es genügend. Außerdem brauchen wir mehr öffentliche Toiletten, die den Bedarfen auch gerecht werden. Ebenso ist stadtentwicklungspolitische Steuerung immer neuer Hotels und Hostels ein Punkt, der umgesetzt werden muss.

Mit dem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur kann die oft beklagte „Touristifizierung“ der Kieze aber nicht gestoppt werden. Was kann die Berliner Landespolitik tun, um die Kiezkultur zu schützen und Gastronomie und Hotelbetriebe zu beschränken?

Da würde ich mir wünschen, dass wir mehr und schärfere Instrumente hätten. Leider werden entscheidende Stellschrauben auf Bundesebene gestellt. So z.B. beim Gewerbemietrecht, das kaum Schutz vor Kündigungen für Gewerbetreibende bietet. Das hat zur Folge, dass gerade in angesagten Kiezen immer mehr Vermieter den kleinen Läden kündigen, um hohe Neuvertragsmieten zu erzielen. Das wiederum kann dann oft nur die Gastronomie zahlen und schnell bilden sich Monostrukturen. Hier kann zwar über den Paragraph 15 der bundesweit gültigen Baunutzungsverordnung eingegriffen werden, wenn es eine starke Häufung gibt – allerdings nur in Wohngebieten [Anm. d. Red.: Paragraph 15 regelt die mögliche Untersagung von eigentlich zulässigen Vorhaben, wenn diese der Eigenart des Baugebietes widersprechen].

Die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung hat im Dezember einen Antrag der grünen Fraktion beschlossen, der das Bezirksamt auffordert, im Reuterkiez die Umwandlung von Kleingewerbe und sozialen Einrichtungen in Gastronomie zu untersagen.

In Kreuzberg wurde das auch bereits gemacht. Nicht wenige Kieze sind baurechtlich aber als Mischgebiet eingeordnet, wo das Instrument nicht greift. Ein weiterer Weg führt über Festsetzungen in Bebauungsplänen. Das ist aber sehr zeitaufwendig und kompliziert und kommt für die schnelllebigen Entwicklungen oft zu spät. Dennoch sollte hier angesetzt werden. Ebenso kann mit einer stadtweiten Rahmenplanung die Neuansiedlung von Hotels gesteuert werden. Für einen besseren Schutz von Kleingewerbe bereitet der grüne Justizsenator Dirk Behrendt gerade eine Bundesratsinitiative vor. Ebenso wollen wir, dass über eine bundesrechtliche Änderung der Milieuschutz auch auf soziale Infrastruktur und kleines Gewerbe ausgeweitet wird.

Kann Tourismus überhaupt städteplanerisch gesteuert werden? Der Berlin-Hype kam ja auch nicht durch einen Senatsbeschluss, sondern eher durch staatliche Abwesenheit, die viel Freiraum für die Entstehung von lebendigen Szenen ließ. Wenn jetzt Easyjetter*innen nach Berlin pilgern, wie soll der Senat steuern, wo und wie sie ihre Zeit hier verbringen?

Zwar stimmt es, dass wir den Menschen nicht verbieten können und wollen, wo sie einkaufen, essen oder feiern gehen. Aber wir können die Ecken mehr in den Mittelpunkt stellen, die nicht so im Fokus stehen. An anderer Stelle können wir hingegen sehr wohl steuern. Das fängt bei der Anreise an: Wo kommen die Leute an und wie erreichen sie ihre Unterkünfte – hier setzen wir klar auf den ÖPNV, den wir stärken und ausbauen. Aber auch die Frage, wo die Besucher*innen übernachten, ist entscheidend. Wo und in welchem Maße neue Hotels in der Stadt entstehen, muss endlich gesteuert werden – auch wenn es in manchen Kiezen zu spät kommt.

Bei dieser Entwicklung spielt auch eine Rolle, dass Wohnraum in Ferienwohnungen umgewandelt wird. Wie soll dies künftig vermieden werden?

Hierfür wird derzeit das Zweckentfremdungsverbots-Gesetz durch den rot-rot-grünen Senat überarbeitet. München hat z.B. gerade die Bußgelder bei Verstößen auf bis zu 500.000 Euro erhöht. Das sollten wir uns auch für Berlin sehr genau anschauen. Ebenso soll es zukünftig eine Registrierungsnummer für legale Ferienwohnungen oder -zimmer geben, um illegale Angebote schneller ahnden zu können. Gleichzeitig muss Airbnb stärker in die Pflicht genommen werden, mit den Bezirken zusammenzuarbeiten und Auskünfte zu geben, wenn illegale Nutzungen vorliegen. Bisher verweigert das Unternehmen das meist, obwohl es schon heute eine Auskunftspflicht gibt.

Ihr arbeitet gerade an einem neuen Tourismuskonzept für Berlin. Im Januar soll es vom Senat beschlossen werden. Was wird sich ändern?

Zuallererst die Perspektive. Das neue Tourismuskonzept ist nicht weniger als eine Neuausrichtung der bisherigen Tourismuspolitik und des Tourismus-Marketings. Als Grüne haben wir uns in den letzten Jahren oft als einzige Partei für einen stadtverträglichen und nachhaltigen Tourismus stark gemacht. Und genau das ist jetzt der Leitgedanke des neuen Konzepts. Gleichzeitig geht es darum, einen übergreifenden Ansatz zu entwickeln und Tourismus endlich als Querschnittsaufgabe zu behandeln. Außerdem soll die Bevölkerung endlich eingebunden werden. So soll es zukünftig einen Bürger*innenbeirat geben, der eine kontinuierliche Beteiligung der Berliner*innen ermöglichen soll. Er kann ebenso dabei helfen, Probleme frühzeitig zu thematisieren und Nutzungskonflikte zu entschärfen.

Also mehr Stadtverträglichkeit, mehr Beteiligung, mehr Nachhaltigkeit. Was das für die Nachbarschaft bedeutet, hast du bereits erläutert. Aber was ändert sich für die Umwelt?

Wir wollen z.B. den Fahrradtourismus mit durchgehenden Routen und entsprechender Infrastruktur ausbauen. Fahrradverleihsysteme und -stationen sollen auch in die Außenbezirke hinein ausgebaut werden. Ein weiteres Ziel ist es, den Reisebusverkehr zu entzerren und besser zu steuern. Auch sollen die Hop-On-Hop-Off-Busse möglichst schnell durch elektrisch betriebene Modelle ersetzt und Ausflugsdampfer mit Dieselrußfiltern umgerüstet werden.

200.000 Berliner*innen leben vom Tourismus, mehr als eine Milliarde Euro an Steuereinnahmen werden akquiriert. Setzt ihr diesen wichtigen Wirtschaftsfaktor durch das neue Konzept aufs Spiel?

Im Gegenteil: Nur wenn wir jetzt beim Tourismus umsteuern und ihn stadtverträglich gestalten, ist Berlin auch morgen noch interessant für Besucher*innen aus aller Welt. Es ist doch so, dass die Menschen das Authentische suchen und kein Interesse an einem Disneyland haben, das nur noch Kulissen bietet. Gerade wenn wir wollen, dass der Tourismus auch in Zukunft für Arbeitsplätze sorgt, dürfen wir ihn nicht sich selber überlassen. Dabei ist es mir aber auch wichtig zu betonen, dass wir uns für ordentlich bezahlte Jobs stark machen. Prekäre Arbeitsverhältnisse wollen wir auch in der Touristikbranche bekämpfen.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Raphael Schanz.