Ein Bier mit dem Stadtrat.

Die Kneipensprechstunde von Jochen Biedermann am 20.11. war ein Experiment. Probleme wurden nicht gelöst. Aber Mieter*innen verschiedener Wohnhäuser in Neukölln redeten miteinander, tauschten sich aus und lernten mehr über die bezirklichen Möglichkeiten, unsozialen Mietsteigerungen etwas entgegenzusetzen.

Ein Montag Abend in einer Neukölln Kneipe. 15 Menschen sitzen an einem langen Tisch. Die meisten kennen sich nicht. Bier-, Saft und Teegläser im Kerzenschein. Was die Gruppe von anderen unterscheidet, sind höchstens die paar Notizbücher auf dem Tisch. Was viele von ihnen verbindet, ist die Sorge um steigende Mieten. Der grüne Stadtrat Jochen Biedermann hat eingeladen zum „Bier mit dem Stadtrat“. Ein Experiment sei das, er wisse auch nicht, was dabei herauskommen werde, schreibt er vor dem Termin auf Twitter. Immer mehr Menschen betreten den Raum, wollen zum Stadtrat. Die Barfrau schlägt vor, den Tisch noch auszuziehen. „Der Bedarf ist groß“, antwortet eine Frau, die in einem Haus wohnt, das gerade erst verkauft wurde.

Für die meisten ist es ein erstes Kennenlernen. Viele der Bürger*innen berichten von ihren Ängsten vor Hausverkauf oder Modernisierung. In der Weserstraße, in der Roseggerstraße. Für manche ist es aber auch ein Wiedersehen, zum Beispiel für eine Bewohnerin der Liberdastraße 10, wo im Juni zum ersten Mal in der Geschichte Neuköllns das Vorkaufsrecht angewendet wurde. Es ist weder ein Frontalvortrag noch eine klassische Beratung. Es ist ein Gespräch, ein Austausch, nicht nur mit dem Stadtrat, sondern auch untereinander. Die Frau aus der Liberdastraße erzählt zwei Bewohnern der Weserstraße 207, wie sie es geschafft hat, zu bleiben. Es werden Erfahrungen ausgetauscht – später auch Telefonnummern.

Jochen Biedermann muss an diesem Abend viele Fragen beantworten. Wie funktioniert das Vorkaufsrecht? Was kann bei einem drohenden Verkauf getan werden? Wieso tut der Bezirk so wenig? Warum gelingt die Ausübung des Milieuschutzes in Kreuzberg besser? Viele muss der Stadtrat vertrösten: „Meine Abteilung macht das alles nebenbei, zusätzlich zu den üblichen Aufgaben.“ Der Prozess sei noch im Aufbau, man schaffe es leider noch nicht, alle Verkäufe intensiv zu prüfen. Das macht wütend. Eine betroffene Bürgerin aus dem Reuterkiez meint: „Wenn es kein Personal für die Prüfung gibt, kann man das Milieuschutz-Gesetz auch gleich abschaffen.“ Ihr Haus wurde verkauft, sie wisse nicht, wie es jetzt weitergeht. „Schleudersitz. Ein blödes Gefühl.“ Was sie vor allem zornig macht: Es geht weder um die Mieter*innen noch um das Haus an sich. Sondern nur um Profit. Jochen Biedermann sagt: „Ich verstehe natürlich die Enttäuschung. Aber nichts zu machen, nicht einmal anzufangen, weil nicht alle gerettet werden können, kann nicht die Antwort sein.“ Zudem gelten die Milieuschutz-Genehmigungskriterien natürlich auch nach einem Verkauf.

Geschichten von luxemburgischen Immobilienfonds, vielsagenden Schreiben der Hausverwaltung und möblierten Vierraumwohnungen, bei denen die Mietpreisbremse nicht greift. An allen Ecken und Enden gibt es Probleme. „Machen kann man da nichts“, resigniert einer der Anwesenden. Es macht sich Rat- und Hilflosigkeit breit in Anbetracht der stattfindenden und sich verschärfenden Verdrängung. Jochen Biedermann meint: „Die Politik hat Jahre zu spät reagiert, wir betreiben hier lediglich Schadensbegrenzung, unsere Spielräume sind begrenzt.“ Viele Betroffene würden sich erst dann melden, wenn das Bezirksamt nicht mehr viel tun kann. Er appelliert daher an die Anwesenden: „Das Wichtigste ist, dass ihr sensibel seid für potenzielle Immobilienverkäufe. Vernetzt euch und nehmt Kontakt zum Bezirksamt auf. Ich kann nicht durch den ganzen Bezirk laufen und überall klingeln.“ Jedoch versuche er, auf möglichst vielen Kiezfesten zu sein und den Menschen vom Milieuschutz zu erzählen. Alle sollen wissen, dass man unsozialen Mietsteigerungen etwas entgegensetzen kann.

Es ist 22 Uhr. Man redet mittlerweile auch über Arbeit, das Kiezleben und Jamaika. Eine Frau sagt beim Gehen: „Danke, dass ihr sowas macht, finde ich cool“. Auf Twitter meint einer: „Ein ansprechbarer Stadtrat, der seine Follower*innen bittet, mit ihm einen Tee oder was anderes in einer Kneipe zu trinken?! Normal ist das leider nicht, sollte aber Schule machen!“ Und so geht das Experiment zu Ende. Probleme wurden an diesem Abend nicht gelöst. Aber Mieter*innen verschiedener Wohnhäuser in Neukölln reden miteinander, organisieren sich. Das ist der Eindruck, der nach diesen drei Stunden bleibt. Und das ist ein sehr positives Signal: Investoren*innen und Immobilienbesitzer*innen bekommen Gegenwind von unten – und haben jetzt einen direkten Draht ins Rathaus.