Der Neuköllner Mietentisch formiert sich

Weit über hundert Menschen kamen zur Auftaktveranstaltung des Neuköllner Mietentisches. Foto: Jana Taube

Gemeinsam aktiv gegen steigende Mieten

Das Haus verkauft an eine Investmentgesellschaft, im Briefkasten die happige Mieterhöhung von bis zu 50 % nach einer Modernisierung, im eigenen Haus werden immer mehr Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt und bei der Suche nach einer neuen Wohnung drängeln sich bis zu hundert Mitbewerber_innen im Hausflur. Die Sorgen und Nöte der weit über hundert Neuköllner_innen in der Rütli-Quartiershalle sind vielfältig – aber sie drehen sich alle um die Angst, sich die eigene Wohnung bald nicht mehr leisten zu können oder keine neue mehr zu finden.

Unter dem Motto "Bezahlbare Mieten. Gegen Verdrängung. Wir bleiben alle!" hatte der Quartiersrat Reuterplatz am Abend des 12. August 2013 zur Auftaktveranstaltung des "Bündnis Bezahlbare Mieten Neukölln" geladen. Mehrfach müssen neue Stühle organisiert werden, damit alle im großen Kreis Platz finden. Ganz bewusst wollten die Organisator_innen keine klassische Podiumsdiskussion mit wahlkämpfenden Politiker_innen, sondern eine Veranstaltung, bei der die Anwohner_innen selbst ausführlich zu Wort kommen sollten. Auch die Kommunalpolitiker_innen quer durch alle Parteien wurden eingeladen – aber nicht, um ihre bekannten Statements vorzutragen, sondern um den Sorgen der Menschen zuzuhören.

Konkrete Forderungen an die Neuköllner Bezirkspolitik

Und die hatten dringenden Rede- und Austauschbedarf und ließen sich dabei auch von der schlechten Akustik und der verbrauchten Luft in der kürzlich neu eröffneten Quartiershalle nicht abschrecken. In den Arbeitsgruppen wurden neben dem Austausch über die eigenen Erfahrungen auch lautstarke Forderungen nach gesetzlichen Regelungen erhoben. Die Begrenzung von Neuvermietungsmieten, Mieterhöhungen und der Modernisierungsumlage, die Einführung von Milieuschutzgebieten und die Verhinderung von Luxusmodernisierung sowie Verbesserungen bei der Erstellung des Mietspiegels wie z.B. die Überarbeitung der den Wohnwert steigernden Kriterien tauchten als Forderung an die Politik an diesem Abend genauso immer wieder auf wie der Wunsch nach wirklich sozialem Wohnungsbau und einem besseren Schutz vor Zwangsräumungen. Auch die Umwandlung in Eigentums- und Ferienwohnungen wurde häufig angesprochen: Gerade Ferienwohnungen führen zu teilweise sehr großen Mietunterschieden in den betroffenen Häusern und die häufig wechselnde Mieter_innenschaft macht eine funktionierende Hausgemeinschaft meist unmöglich. Man lebt nicht mehr zusammen in einem Haus, sondern nur noch nebeneinander her.

Zuvor hatte Rainer Wahls vom Stadtteilbüro Friedrichshain vom Austausch fast der kompletten Bewohner_innenschaft rund um den Boxhagener Platz innerhalb weniger Jahre berichtet und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, um Ähnliches in Neukölln zu verhindern. Heike Thomas von der <link http: fuldaweichsel.wordpress.com externen link in neuem>Mieter_innen-Initiative FuldaWeichsel schilderte in emotionalen Worten ihre persönlichen Erfahrungen in der Auseinandersetzung um Modernisierung und Mieterhöhungen in ihrem Haus. Und sie machte Hoffnung: Denn durch die gute Zusammenarbeit der betroffenen Bewohner_innen konnte viel erreicht werden, was Einzelne kaum geschafft hätten. Ihr Aufruf an die Anwesenden: Vernetzt Euch, schließt Euch zusammen, unterstützt Euch gegenseitig – denn gemeinsam sind wir stark! 

Am Ende des Abends stand die deutliche Forderung an das Bezirksamt Neukölln nach einem wirksamen Handlungskonzept gegen die Verdrängung von Mieter_innen aus unseren Kiezen. Zu den wichtigsten Punkten gehörte dabei die Einführung von Milieuschutzgebieten. Auch wenn dies kein Wundermittel gegen Verdrängung darstellt, so ist es doch ein praktikables Werkzeug, die aktuelle Entwicklung zumindest zu dämpfen. In den Bezirken Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg wird es bereits erfolgreich angewandt. Warum nicht auch in Neukölln?

Wie alles anfing...

Begonnen hatte alles Ende 2012, als der Quartiersrat Reuterplatz die Veröffentlichung einer neuen Sozialstrukturstudie zum Anlass nahm, einen offenen Brief an Bezirksamt und Bezirksverordnetenversammlung zu richten (<link http: www.reuter-quartier.de miete-und-wohnen.2120.0.html externen link in neuem>nachzulesen hier auf der Webseite des Quartiersrats). Die Forderung: die Erarbeitung eines "Handlungskonzepts gegen die Verdrängung vieler Bewohner_innen mit niedrigem Einkommen aus unserem Reuterquartier". Die Antwort des Neuköllner Baustadtrates Thomas Blesing (SPD) war an Deutlichkeit nicht zu überbieten: "Das System der freien Marktwirtschaft und auch die vorherrschende Einzeleigentümerschaft in der Innenstadt Neuköllns bieten kaum Eingriffsmöglichkeiten für bezirkspolitisches Handeln." Eine klare Absage, hier im Sinne der Betroffenen aktiv zu werden. Und auch die darauf folgenden Debatten in der Bezirksverordnetenversammlung ließen bei SPD und CDU wenig Verständnis für die Probleme erkennen.

Also entschloss sich der Quartiersrat, selbst tätig zu werden und ging auf andere Neuköllner Quartiersräte, Mieter_innenvereine und –initiativen, einzelne lokale Akteur_innen sowie Kommunalpolitiker_innen zu, unter anderem auch auf uns Grüne. Die Anfrage stieß auf sehr großes Interesse und man war sich schnell einig, dass bei diesem Thema dringender Handlungsbedarf besteht, um den offensichtlich notwendigen Druck auf die entscheidenden Akteur_innen in der Bezirkspolitik aufzubauen, und begann, die Veranstaltung zu planen.

...und wie es weitergeht.

Aus der Auftaktveranstaltung des Bündnisses soll nun eine kontinuierliche Arbeit werden, die mit Aktionen auf sich aufmerksam macht und der (Bezirks-)Politik auf die Finger schaut. Zum ersten Treffen des Mietentischs am 27. August kamen über 25 Anwohner_innen, die gemeinsam Aktionen und die nächsten größeren Veranstaltungen planen wollen. Von diesem Neuköllner Mietenbündnis wird sicherlich noch einiges zu hören sein.

Alle Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, die sich ebenfalls einbringen und mitmachen möchten, sind herzlich dazu aufgerufen, damit wir unsere Kräfte bündeln und gemeinsam verstärkt Einfluss auf die Entwicklung nehmen können. Ganz egal, ob nur bei einzelnen Projekten und Veranstaltungen oder dauerhaft – jeder Beitrag ist willkommen und hilft dabei, dem gemeinsamen Ziel näher zu kommen: Wir bleiben alle!

Mehr Informationen sowie direkten Kontakt zum "Bündnis gegen steigende Mieten Neukölln" gibt es unter <link http: www.mietenbuendnis.de external-link-new-window externen link in neuem>www.mietenbuendnis.de

Annette Heppel, Jochen Biedermann

Annette Heppel ist Mitglied des Vorstands der Grünen Neukölln, Jochen Biedermann ist stellv. Vorsitzender der Grünen BVV-Fraktion. Beide sind aktiv beim Neuköllner Mietentisch.

Der Artikel erschien im Neuköllner Stachel Nr. 178, Ausgabe 2013/III. <link internal-link internen link im aktuellen>Die gesamte Ausgabe kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden.