Bildungspaket der Bundesregierung: Mehr Schein als Sein!

Gemeinsame Erklärung der Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und der zuständigen Stadträt_innen in den Berliner Bezirken

Das Bildungspaket der Bundesregierung ist eine große Seifenblase. Sie droht zu platzen, bevor sich ein einziges Kind daran erfreuen konnte! Der Gesetzentwurf zum sogenannten “Bildungspaket” hält nicht das, was vollmundig versprochen wurde. Statt die Infrastruktur für bessere Bildung und Teilhabe auszubauen, sieht er ein teures und nicht praxistaugliches Gutscheinsystem vor.

Das vom Bundesverfassungsgericht verfügte Ziel, dass der Staat durch die Leistungen des SGB II und XII und darüber hinaus jeder und jedem Hilfebedürftigen die materiellen Voraussetzungen gewähren muss, “die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind”, wird mit dem Bildungspaket nicht erreicht werden.

Vielmehr wird mit dem Bildungspaket ein bürokratisches Monster aufgebaut, dessen Verwaltungskosten so hoch sind, dass jede Spendenorganisation ihr Spendensiegel verlieren würde.

Fraglich ist, ob alle 175.000 Kinder und Jugendlichen, die in Berlin im SGB II-Bezug leben, vom Bildungspaket profitieren werden. Denn gemeinsam mit der Bundesregierung sorgt der rot-rote Senat dafür, dass von den geplanten ergänzenden Sachleistungen im Bereich Schulessen, Nachhilfe und Freizeitgestaltung möglichst wenig Kinder und Jugendliche Gebrauch machen können:

So kursieren in den Jobcentern noch alte Vordrucke, die Nachhilfe nur dann gewähren wollen, wenn “schulische Leistungen des Kindes aufgrund eines außergewöhnlichen familiären/persönlichen Ereignisses (z.B. langfristige Erkrankung, Todesfall im engsten Familienkreis) auffallend abgefallen sind.” Das entspricht nicht dem Stand des neuen Gesetzentwurfs, in dem geregelt ist, dass Nachhilfe nicht nur bei Gefährdung der Versetzung möglich ist, sondern auch zur Notenverbesserung für einen höheren Abschluss.

Nicht ganz so makaber, aber ähnlich paradox verhält es sich bei der sogenannten kulturellen Teilhabe, die Kindern aus Familien im Arbeitslosengeld II-Bezug mit 10 Euro im Monat bewilligt werden soll. Sportvereine nehmen seit 2008 dank des durch die Europäische Union kofinanzierten Programms “Kids in die Clubs” Kinder aus finanzschwachen Familien kostenlos auf. Und für Musikschulen reichen 10 Euro im Monat nicht aus. Das im Bildungspaket dafür vorgesehene Geld reicht von vorne bis hinten nicht oder gefährdet wertvolle Strukturen des kostenlosen Zugangs, die sich in der Praxis bewährt haben.

Einen Ausweg aus diesem bundesseitig eingebrockten Dilemma versuchen nun Senat und Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit zu finden, indem sie bei zusätzlichen Leistungen vor allem die Essensversorgung in den Kitas und Schulen in den Blick nehmen.

Was dabei ignoriert wird ist, dass auf sämtliche Leistungen des Bildungspakets ein individueller Rechtsanspruch besteht, der ab dem 1. Januar 2011 vor dem Sozialgericht einklagbar ist. Das Teilhabeproblem in Berlin ist nicht die Essensversorgung, sondern der Zugang und die Teilhabe an Bildungsleistungen in ihrem ureigentlichen Sinne.

Zudem scheint dem Senat und der Regionaldirektion offenbar die bereits existierende Regelung aus dem Blick geraten zu sein: Bereits jetzt bezahlen Kinder aus Bedarfsgemeinschaften nur 23 Euro im Monat für das Kita- oder Schulessen. Würde das Essen zukünftig kostenlos sein, bekämen die Eltern genau diese 23 Euro vom Jobcenter wieder abgezogen, weil sie diese beim Einkaufen und Kochen sparen – so funktioniert die Logik der Bundesagentur. Der Senat indes hofft, mit Hilfe der zusätzlichen Gelder seine Subvention des Essens in Schulen und Kitas (immerhin fast 40 Millionen Euro) reduzieren zu können.

Die betroffenen Kinder bzw. Familien bleiben bei dieser Sichtweise einmal mehr außen vor. In beiden Fällen wird es nicht mehr oder besseres Essen geben! Wir erheben den Vorwurf, dass sich hinter diesem Vergabevorhaben eine verdeckte Haushaltssanierung versteckt, die wir entschieden ablehnen!

Bündnis 90/Die Grünen wollen kein Antragschaos und keinen finanziellen Verschiebebahnhof. Wir lehnen diesen bürokratischen Verwaltungsakt ab, der nach Schätzungen des Bundestags Verwaltungskosten in Höhe von ca. 130 Millionen Euro für das “Bildungspaket” verursachen wird. Die negative Begleiterscheinung ist absehbar: Die eigentliche Arbeit der Jobcenter wird wieder einmal nachhaltig behindert. Wir wollen stattdessen unsere Kitas und Schulen und damit die Kinder direkt unterstützen. Wir wollen Angebote, die Kindern und Jugendlichen helfen, in- und außerhalb der Schule erfolgreich zu sein.

Bündnis 90/Die Grünen fordern:

  • Die Mittel des Bildungspaketes sollen gebündelt und für eine Stärkung der bewährten kommunalen Strukturen (Musikschulen, Jugendkunstschulen, Gartenarbeitsschulen, kulturelle Bildungsangebote des Landes etc.) verwendet werden.
  • Die Schulen sollen ihren Bedarf für zusätzliche Lernförderung von Kindern mit Lernmittelbefreiung ermitteln, entsprechende Angebote (z.B. mit Hilfe von Hausaufgabenhilfen durch Lehramtsstudent_innen) organisieren und die erforderlichen Mittel dafür direkt erhalten.
  • Förder- und Vertiefungsangebote an den Schulen sollen auch Schüler_innen ohne Lernmittelbefreiung zur Verfügung stehen, sofern diese einen angemessenen Teilnahmebeitrag zu bezahlen bereit sind.
  • Die Abrechnungsmodalitäten für die Teilnahme von Schüler_innen mit Lernmittelbefreiung an Bildungsangeboten sollen direkt zwischen Senatsschulverwaltung und Jobcenter erfolgen.
  • Die durch den Bund in Aussicht gestellten Mittel zur Verwaltung des Bildungspakets sollen in die Schulen und Kitas fließen, um dort eine effektive Umsetzung der Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu gewährleisten.

 

Ramona Pop – Fraktionsvorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin, Clara Herrmann – jugendpolitische Sprecherin, Elfi Jantzen – familienpolitische Sprecherin, Özcan Mutlu – bildungspolitischer Sprecher

Stephan von Dassel – Stadtrat für Soziales und Bürgerdienste (Bezirk Mitte),Monika Hermann – Stadträtin für Jugend, Familie und Schule, Bezirk (Friedrichshain-Kreuzberg), Dr. Sibyll Klotz – Stadträtin für Gesundheit und Soziales (Bezirk Tempelhof-Schöneberg) Anke Otto – Stadträtin für Jugend, Schule und Umwelt (Bezirk Steglitz-Zehlendorf) Martina Schmiedhofer – Stadträtin für Gesundheit, Soziales, Umwelt und Verkehr (Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf), Gabriele Vonnekold – Stadträtin für Jugend (Bezirk Neukölln)